Als wesentliche Säule des vielzitierten EU-Klimapakets „Fit for 55“ wurde im Frühjahr 2023 der von der EU-Kommission erdachte CO2-Grenzausgleichsmechanismus („Carbon Border Adjustment Mechanism“, kurz CBAM) beschlossen. Mit Jahreswechsel tritt dieser – nach einer zweijährigen Phase der Datensammlung bei einschlägigen Unternehmen – in Kraft.
Aufschläge nun auch für Einfuhren
Konkret geht es der EU-Exekutive darum, bei emissionsintensiven Industriezweigen einen fairen Wettbewerb sicherzustellen und eine Verlagerung des Treibhausgasausstoßes in Drittstaaten zu vermeiden. Bekanntlich sind Energieerzeuger, Hersteller von Zement, Eisen oder Stahl, aber auch Düngemittelproduzenten in der EU seit Jahren zur Teilnahme am europäischen CO2-Zertifikatehandel verpflichtet, um ihre Emissionen zu reduzieren. Für importierte Produkte gilt die Regelung nicht, was diesen einen preislichen Wettbewerbsvorteil am europäischen Markt bescherte. Mit CBAM soll damit spätestens nach der vollständigen Umsetzung 2034 Schluss sein.
Ab 1. Jänner greifen erste Einfuhrzölle auf diesen „Import von Emissionen“. Das betrifft auch die etwa 15 Millionen Tonnen Stickstoffdünger, welche jährlich in die EU importiert werden. „Die Idee an sich ist gut, aber das System ist überhaupt nicht an die Praxis angepasst“, moniert Andreas Hochgerner, Leiter der Abteilung Düngemittel in der Raiffeisen Ware Austria.
Derzeit wagt niemand, Waren aus Drittstaaten mit Liefertermin 2026 zu bestellen.
Andreas Hochgerner
RWA-Abteilungsleiter Düngemittel
Das Problem: Derzeit sei völlig unklar, wie teuer die CBAM-Zertifikate sein werden. „Das will die Kommission im Laufe des ersten Quartals erheben und bis zur Jahresmitte bekannt geben. Verrechnet wird überhaupt erst 2027“, berichtet der Branchenkenner. Er rechnet mit fatalen Auswirkungen auf die Düngerverfügbarkeit in der kommenden Saison: „Derzeit wagt niemand, Waren aus Drittstaaten mit Liefertermin 2026 zu bestellen, weil schlicht nicht bekannt ist, welche Kosten einkalkuliert werden müssen.“ Hochgerner befürchtet im kommenden Frühjahr entsprechend eine knappe Verfügbarkeit von Kalkammonsalpeter (KAS), Harnstoff oder Diammonphosphat (DAP) und „gemäß der Regeln des Marktes“ Preissteigerungen.
Letztere dürften durch CBAM auch eine langfristige Folge sein, wie eine Analyse der auf den Agrar- und Energiesektor spezialisierten Rabobank zeigt. Die dortigen Experten gehen bis 2030 von Preissteigerungen um bis zu 50 Prozent aus.
Abhängigkeit gegeben
Denn die EU ist derzeit auf die Düngerimporte angewiesen. Nur fünf Exportnationen – Russland, Ägypten, Marokko, Algerien sowie Trinidad und Tobago – liefern satte 70 Prozent der europäischen Stickstoffdünger-Einfuhren. „Dies bedeutet wahrscheinlich, dass die Kosten an die Landwirte und in begrenztem Umfang auch an die Händler weitergegeben werden“, werden Rabobank-Experten von agrarheute.com zitiert. Wie stark sich CBAM auf die Preisbildung der jeweiligen Düngersorten auswirkt, hängt vom Treibhausgasrucksack ab, den die Herstellung mit sich bringt.
Vor allem Harnstoff betroffen
Besonders betroffen dürfte Harnstoff sein, da bei dessen Erzeugung bis zu 2,2 Tonnen CO2 pro Tonne frei werden. Rabobank geht hier 2026 von Preiserhöhungen zwischen zehn und 15 Prozent aus. Der Deutsche Bundesverband der Düngermischer rechnet mit Aufschlägen von 30 bis 78 Euro pro Tonne.„In Österreich hat Harnstoff nicht die große Bedeutung. Was aber ausgebracht wird, kommt aus Drittstaaten“, ergänzt Hochgerner diesbezüglich. Erschwerend komme hinzu, dass die KAS-Hersteller sich bei der Preisbildung am Harnstoff orientieren. „Wird dieser teurer, werden auch die KAS-Preise anziehen“, analysiert er.
Wird Harnstoff teurer, werden auch die KAS-Preise anziehen.
Andreas Hochgerner
RWA-Abteilungsleiter Düngemittel
Auch bei Österreichs einzigem Stickstoffdüngerhersteller LAT Nitrogen vermag man die Auswirkungen von CBAM derzeit noch nicht abzuschätzen. Es seien verschiedenste Zahlen im Umlauf.
Nur so viel: „Durch die herrschende Unsicherheit kann man im Frühjahr mit einer Preissteigerung zusätzlich zum saisonbedingten Anstieg rechnen“, erklärt Robert Theiss, Manager für Marktforschung bei LAT Nitrogen. Er sieht im neuen Abgabesystem „aus europäischer Sicht einen guten Schritt“: „CBAM soll verhindern, dass Firmen in Europa schließen und außerhalb Europas produzieren. Derzeit müssen europäische Unternehmen CO2-Zertifikate finanzieren, Importeure noch nicht. “ Das System finde auch in Drittstaaten bereits erste Nachahmer.
Durch die herrschende Unsicherheit kann man im Frühjahr mit einer Preissteigerung zusätzlich zum saisonbedingten Anstieg rechnen.
Robert Theiss
LAT-Nitrogen-Manager für Marktforschung
Bezüglich knapper Versorgungslage beruhigt der Manager: „Grundsätzlich kann man in Europa genug Stickstoffdünger herstellen, um den Markt zu versorgen.“
Kaufen oder warten?
Beim größten Landproduktehändler der Nation ist man hier anderer Auffassung. An-dreas Hochgerner ist überzeugt: „Ich gehe nicht davon aus, dass im Frühjahr KAS, DAP oder Harnstoff aus Drittstaaten nach Österreich importiert werden.“
Bauern, die bisher noch keinen Stickstoffdünger für die kommende Saison eingelagert haben, rät der RWA-Spartenleiter entsprechend zur Absicherung von Teilmengen des hofeigenen Bedarfs. Von LAT Nitrogen hört man diesbezüglich: „Jeder Landwirt ist auch Unternehmer. Es steht uns nicht zu, ihre Kaufentscheidungen vorzugeben. Sie selbst können am besten einschätzen, welches Risiko sie bereit sind einzugehen.“ Ratsam sei aber kontinuierlicher Einkauf.
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