Ein Bauer, der das Landleben in Literatur verwandelt
Es ist eine eher ungewöhnliche Kombination an Berufen, die Reinhard Kaiser-Mühlecker ausübt: Der Oberösterreicher ist Schriftsteller – und Landwirt.
Er ist am Land aufgewachsen und nach etlichen Stationen - auch im Ausland - wieder zurückgekehrt auf den elterlichen Bauernhof. Und nicht nur das: Reinhard Kaiser-Mühlecker führt diesen Hof, einen Bio-Schweinemastbetrieb, mittlerweile auch selbst. Das alles ist noch keine Besonderheit und passiert in ähnlicher Form auf vielen Höfen des Landes. Ungewöhnlich ist jedoch der „Nebenberuf“ des Oberösterreichers: Kaiser-Mühlecker ist Schriftsteller.
Große Buchpreise krönen seinen "Nebenerwerb"
Ob seiner literarischen Erfolge könnte man meinen, dies sei seine Hauptprofession und die Landwirtschaft lediglich ein Nebenerwerb. „Ich bin aber deutlich mehr Stunden im Betrieb“, so Kaiser-Mühlecker, „vielmehr bin ich Nebenerwerbs-Schriftsteller.“ Geschrieben wird in der Früh und am Abend. „Und natürlich im Winter mehr als im Sommer“, so Kaiser-Mühlecker. Mit etwas Disziplin sei das gut möglich, versichert er.
Dafür, dass er erst relativ spät mit der Literatur in Kontakt gekommen ist – seinen Angaben zufolge während des Zivildienstes in einem Dorf in Bolivien, wo es außer zu lesen kaum etwas zum Zeitvertreib gegeben habe - hat sein eigenes Schaffen doch schnell Fahrt aufgenommen. Seinen ersten Roman brachte er als 25-Jähriger auf den Markt.
Kaiser-Mühlecker wird mittlerweile als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Österreichs gehandelt und gilt als Chronist bäuerlicher Lebenswelten. Seine Romane sind im ländlichen Raum angesiedelt, die Protagonisten oftmals sparsam in der Kommunikation untereinander. Dort, wo das Reden aufhört, beginnt Kaiser-Mühlecker seine Stärken als Erzähler auszuspielen. Intensive Naturbetrachtungen und eine teils antiquiert wirkende Sprache, die nicht auf Tempo aus ist, sind Markenzechen des Oberösterreichers. Literaturkritiker loben ihn für „atmosphärische Dichte“, orten „Sogwirkung“, „wuchtige Prosa“ und „hypnotische Tonfallvariationen“ und im Autor selbst den „Erklärer des Bauernstandes“.
Er selbst wahrt zum Literaturbetrieb lieber eine gesunde Distanz. „Solche Wichtigtuer, wie es dort mitunter gibt, habe ich in der Landwirtschaft nie erlebt“, meint er nüchtern. Die Szene sei wohl immer schon schrill gewesen und das Geschrei „oft umso lauter, je bedeutungsloser jemand ist.“ Eigentlich sollte es nur um das Buch gehen. „Aber da ist es wie in der Landwirtschaft: Die Erzeuger kriegen am wenigsten, dafür leben sehr viele andere davon.“
Dem Mythos ländlicher Idylle halten seine Romane nicht stand. So geht es auch im jüngsten Roman „Brennende Felder“ durchaus hart zu, wenn sich Hauptfigur Luisa fernab aller Moralvorstellungen und Konventionen in Richtung ihrer vermeintlichen Freiheit und Unabhängigkeit bewegt.
Eigenes literarisches Feld gefunden
So wie er einst selbst am Gymnasium in Wels mit seiner bäuerlichen Herkunft gehadert hat, waren auch seine Schreib-Anfänge begleitet von Skepsis ob dieses ihm naheliegenden Themas. Während seiner Zeit in Wien habe er oft ein Abkanzeln des ländlichen Raumes wahrgenommen. „Diese Denke in der Stadt war mir einfach nicht recht, das hat mir ein Unwohlsein eingebracht“, schildert er. So sei er schließlich doch dabei gelandet, tiefer in den ländlichen Raum einzutauchen. Schließlich habe er das Glück gehabt, mit seinem ersten Manuskript „an die richtigen Leute und an die richtigen Leser“ zu geraten, wie er es nennt. „Mittlerweile habe ich verstanden, dass das eigentlich ein Geschenk ist, wenn man einen Stoff hat, der einen beschäftigt, eine Gegend, einen Menschenschlag.“ Herkunft, Charaktere, Prägung, Verstrickungen in die Vergangenheit – das sind die Punkte, bei denen Kaiser-Mühlecker gerne in die Tiefe geht und den Leser zum Hinschauen zwingt, auch wenn es weh tut. „Ich sehe es als eine Art Verpflichtung an, die Welt, die ich kenne, erfahrbar zu machen — einem, der sie nicht kennt“, lautet Kaiser-Mühleckers Statement auf der Website seines Verlegers.
Ein Erzähler aus der eigenen Mitte
Wie aber sieht es mit jenen aus, über die er schreibt? In seinen Schilderungen ist es oft so, als könnte sich alles auch vor der eigenen Hoftür abspielen. Anfangs habe es schon eine gewisse Vorsicht, auch Zurückhaltung, gegeben. „Wenn man mitkriegt, da schreibt jemand über uns, das will man vielleicht grundsätzlich nicht“, sagt der Autor. Aber spätestens mit den zahlreichen hohen Auszeichnungen sei „eine gewisse Öffnung“ einhergegangen. Das Hineininterpretieren, wer vielleicht mit welcher Figur gemeint sein könnte, wieviel vom Ich-Erzähler sich autobiografisch lesen lässt oder was in der Region wirklich passiert ist, lasse sich sowieso nicht vermeiden. Jedenfalls seien es nun mehr und mehr Menschen aus der erweiterten Umgebung und dem bäuerlichen Milieu, die zu seinen Lesungen kommen. „Jetzt erlebe ich sehr oft, dass die Menschen froh sind, dass jemand aus ihrer Mitte erzählt“, so Kaiser-Mühlecker. Und überdies: „Bücherlesen ist kein Eliteprogramm“, sagt der Schriftsteller, diese Botschaft liege ihm am Herzen.
„Brennende Felder“ lautet der Titel des aktuellen Werkes von Reinhard Kaiser-Mühlecker, ausgezeichnet mit dem Österreichischen Buchpreis 2024. Der Roman aus dem Verlag S. Fischer umfasst 368 Seiten und ist unter ISBN: 978-3-10-397570-3 zum Preis von 25 Euro im Buchhandel erhältlich.
Schon seit jeher als Hoferbe vorgesehen
Im Gegensatz zum Schreiben sei der Schritt in die aktive Landwirtschaft für ihn und seine Familie immer klar gewesen. „Ich war als Hoferbe vorgesehen und von klein auf überall dabei“, sagt Kaiser-Mühlecker, der mit zwei Geschwistern aufgewachsen ist. Auch wenn ihn seine Wege zwischenzeitlich weit weg geführt hatten, habe er stets gewusst, dass sein Platz einmal jener sein werde, den er in seinen Büchern so eindringlich beschreibt. „Mir vorzustellen, dass unseren Hof jemand anderer bewirtschaftet – das geht einfach nicht“, sagt er.
Brücke in agrarisch nicht bewanderte Schichten
Dass sein literarisches Feld so deckungsgleich ist mit jenem, das er tatsächlich beackert, verleiht seiner Stimme noch mehr Gewicht. Selbst sieht er sich als „Brücke“ um Menschen zu erreichen, die mit der Landwirtschaft sonst keine Berührungspunkte haben. „Es gibt schon so viele Leute, die gar nicht mehr wissen, was Bauern tun“, so der Autor. Er selbst weiß, was er täglich zu tun hat: Am 16 Hektar-Biobetrieb stehen aktuell zehn Zuchtsauen, die Ferkel werden selber gemästet.
„Der Betrieb ist noch wirtschaftlich, weil meine Eltern schon vor 20 Jahren auf Bio umgestellt haben. „Hier ist nichts alt. Wo das nicht so ist, verstehe ich schon, dass die nötigen Investitionen auch zu groß sein können, um weiterzumachen. So etwas beschäftigt mich schon sehr“, sagt Kaiser-Mühlecker. Das so unvorhersehbar gewordene Wetter mache sowieso allen Sorgen. „Und auch im Biobereich ist das Problem, dass man nicht wirklich weiß, wie die politische Vision ist und wo es hingehen soll.“
Mit Literatur ist es wie in der Landwirtschaft: Die Erzeuger kriegen am wenigsten, dafür leben sehr viele andere davon.
Reinhard Kaiser-Mühlecker
Schriftsteller und Landwirt
Apropos Eltern: Diese seien noch „jung und fit“, weshalb sich Lesungen und Buchpräsentationen bewerkstelligen lassen. Da Kaiser-Mühleckers zehnjähriger Sohn in Dänemark lebt, kommen auch diese Reisen dazu. Das „Wegsein“ sei oft schwierig, erzählt er, am Hof genauso wie beim Denken.
Ist er aber daheim, mag er vor allem die Ruhe am Landleben. Oder wie er es poetisch ausdrückt: „Da bin ich in den Elementen.“ So gedeiht dort nicht nur die Natur, sondern auch Roman Nummer zehn. Dieser soll im Frühjahr 2027 auf den Markt kommen. Für den Autor bedeutet das einen Abgabetermin im Frühjahr 2026 und davor lange Winterabende am Schreibtisch. „Hier am Hof bin ich ungestört“ meint Kaiser-Mühlecker. Allerdings sei es schon vorgekommen, dass der eine oder andere neugierige Fan vor der Tür gestanden ist. So fordern eben auch Literaturpreise ihren Preis.
Bio-Bauer und Buchpreis-Gewinner
Reinhard Kaiser-Mühlecker (geboren 1982) ist auf einem Bauernhof in Eberstalzell (OÖ) aufgewachsen. Er hat im Rahmen seines Zivildienstes 14 Monate in Bolivien verbracht und nach Studienjahren in Wien auch in Argentinien, Deutschland und Schweden gelebt. Vor vier Jahren hat er den elterlichen Hof, auf dem seit mehr als 20 Jahren Bio-Schweinehaltung betrieben wird, übernommen.
Von Kaiser-Mühlecker sind mittlerweile neun Romane erschienen. Sein Erstlingswerk „Der lange Gang über die Stationen“ (2008) ist schon vor dessen Erscheinen mit einem Literaturpreis ausgezeichnet worden. Für das Buch „Wilderer“ hat er den Bayerischen Buchpreis 2022 erhalten, für sein aktuelles Werk „Brennende Felder“ (siehe Buchtipp) den Österreichischen Buchpreis 2024.
Seine Werke wurden bereits in neun Sprachen übersetzt.