Charakteristisch für diese kleinen norddeutschen Inseln, die regelmäßig vom Meer überspült werden, sind die Warften: künstlich aufgeschüttete Erdhügel, auf denen die Häuser dem Wasser trotzen. Keine Brücke führt zur Hallig Nordstrandischmoor – nur eine schmale Lorenbahn, die sich wie ein dünner Strich durch das Watt zieht und das Festland mit ihr verbindet. Wer hierher kommt, spürt sofort: Dies ist ein besonderer Ort. Zwischen Ebbe und Flut, zwischen Naturgewalten und Stille lebt und arbeitet Nommen Kruse mit seiner Familie – Landwirt, Wasserbauer, Küstenschützer und Halligbewohner in einem. Der Landwirt ist auf der Hallig Nordstrandischmoor groß geworden. Sein Alltag war schon als Kind von Schafen, Sturmfluten und dem ständigen Blick zum Himmel geprägt. „Wenn andere Kinder in der Schule über Pausenbrot und Fußballplatz gesprochen haben, haben wir darüber geredet, wie hoch das Wasser beim letzten Sturm stand“, erzählt er schmunzelnd.
Die Hallig hat vier Warften, auf denen die Häuser stehen, eine Grund- und Mittelschule und eine Gaststätte. Jeder Sturm ist ein Test für diese Erhöhungen. Und jeder, der rund 20 Bewohner der Hallig Nordstrandischmoor weiß: Die Natur ist der eigentliche Taktgeber. Landwirtschaft bedeutet hier nicht nur Futterbau oder Schafzucht, sondern auch tägliche Arbeit am Schutz seines Zuhauses.
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Der Norddeutsche Nommen Kruse betreibt Mutterschafhaltung mit 60 Tieren.
Schafhaltung als Herzstück
Rund 60 Mutterschafe gehören zur Familie Kruse. Sie sind mehr als nur Nutztiere: Sie sind Küstenschützer, Landschaftspfleger und Teil der Identität. Die Schafe halten das Gras kurz, ihre Hufe verdichten den Boden, ihre Anwesenheit verhindert Erosion. Fleisch und Wolle der Tiere sind das wirtschaftliche Standbein, doch die eigentliche Bedeutung liegt tiefer: Die Schafe sind unersetzlich für das Überleben der Hallig. Die Weideflächen liegen inmitten des UNESCO-Weltnaturerbes Wattenmeer. Viele Bereiche sind Teil des Vertragsnaturschutzes: Hier brüten seltene Vogelarten wie Austernfischer oder Kiebitze, hier wachsen Salzpflanzen, die sonst kaum mehr zu finden sind. Landwirtschaft und Naturschutz sind auf Nordstrandischmoor keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille.
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Die Lorenbahn ist die einzige Verbindung zwischen dem Festland und der Insel.
„Wir sind nicht nur Bauern, wir sind auch Küstenschützer. Wenn wir aufhören würden, würden die Halligen verschwinden.“
Nommen Kruse
Wenn das Meer an die Tür klopft
Die extreme Lage bringt auch große Herausforderungen. Sturmfluten gehören zum Alltag – manchmal steigt das Wasser so hoch, dass die Hallig komplett überspült ist und nur noch die Warften mit ihren Häusern wie kleine Inseln aus dem Meer ragen. „Dann sitzen wir wie auf einer schwimmenden Arche und hoffen, dass der Steindeich, der die Küste befestigt, hält“, sagt Kruse. Diese Momente schweißen die Familie zusammen. Während draußen das Wasser rauscht, und niemand raus kann wird den alltäglichen Dingen im Haushalt nachgegangen. Die Tiere sind im Stall sicher untergebracht. Es ist ein Leben mit der Natur – aber eben auch gegen sie. Denn wer hier bestehen will, muss jeden Tag bereit sein, mit widrigsten Bedingungen umzugehen.
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Kruse kümmert sich um den Erhalt von Dämmen, Sielen und Entwässerungssystemen.
Landwirt und Wasserbauer
Neben der Schafhaltung ist Nommen Kruse auch als Wasserbauer tätig. Das bedeutet: Er kümmert sich um den Erhalt von Dämmen, Sielen und Entwässerungssystemen. Siele sind wasserbauliche Einrichtungen im Küstenschutz und in der Entwässerung von Marsch- und Poldergebieten, vor allem an der Nordseeküste. Ohne diese Arbeit wäre Landwirtschaft auf der Hallig gar nicht möglich. „Wir sind nicht nur Bauern, wir sind auch Küstenschützer. Wenn wir aufhören würden, würden die Halligen verschwinden“, erklärt er.
Hier verschmelzen Berufsrollen. Es geht nicht nur um die Produktion von Lebensmitteln, sondern auch um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – den Erhalt einer einzigartigen Kulturlandschaft.
Familie als Fundament
Die Arbeit auf Nordstrandischmoor ist nichts für Einzelkämpfer. Auch seine Frau und seine drei Kinder sind überall eingebunden – in die Stallarbeit, bei den Schafen, in die Versorgung der Halliggäste. Denn neben Landwirtschaft lebt die Familie auch von Ferienwohnungen. „Ohne Tourismus wäre es schwer, hier wirtschaftlich zu überleben“, sagt er. Gäste erleben die Hallig als Rückzugsort, die Familie sieht darin eine zusätzliche Aufgabe – nämlich Botschafter dieser besonderen Lebensweise zu sein. „Manchmal beneiden die Kinder auf der Hallig jene auf dem Festland um ihre Einkaufszentren und Fußballplätze – aber am Ende sind sie stolz, hier zuhause zu sein“, sagt Kruse.
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So wie hier im Nebel, „schwimmen“ die Häuser oft im Wasser.
Klimawandel hautnah
Kaum ein Ort zeigt so deutlich, wie der Klimawandel die Landwirtschaft verändert. Steigender Meeresspiegel, häufigere und stärkere Sturmfluten, veränderte Vegetation – auf der Hallig sind diese Veränderungen nicht abstrakt, sondern direkt spürbar. „Wenn der Meeresspiegel steigt, dann steigt er hier zuerst“, sagt der Landwirt. Das zwingt ihn, immer wieder neue Lösungen zu suchen – sei es beim Küstenschutz, beim Umgang mit den Schafen oder in der Zusammenarbeit mit Behörden.
Landwirtschaft auf der Hallig zeigt, wie viel Verantwortung, aber auch wie viel Erfüllung in diesem Beruf steckt – zwischen Meer und Himmel, zwischen Ebbe und Flut. „Man muss es wollen, hier zu leben“, sagt Nommen Kruse. „Aber wenn man es will, gibt es keinen besseren Ort.“
Dr. Karin Huber ist Agrarjournalistin und für den Pressedienst AIZ tätig.
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