Tiefkühlpizza

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Hochverarbeitetes Essen: Forscher fordern Maßnahmen

Eine Gruppe internationaler Wissenschaftler schlägt Alarm: Der zunehmend hohe Anteil ultraverarbeiteter Lebensmittel gefährde Gesundheit, Ernährungskultur und soziale Strukturen und das weltweit.

Unter „hochverarbeiteten Lebensmitteln“ verstehen Fachleute Produkte, die aus industriellen Zutaten wie gehärteten Fetten, Sirupen, Aromen und Farbstoffen bestehen und zahlreiche Verarbeitungsschritte durchlaufen. Typische Beispiele sind Tiefkühlpizza, Softdrinks, Snacks oder Fertigjoghurts. Laut den 43 Expertinnen und Experten, die für eine dreiteilige Analyse im Fachjournal "The Lancet" die Untersuchung durchführten, verleiten diese Lebensmittel häufig zu übermäßigem Kalorienkonsum bei gleichzeitig schlechter Nährstoffqualität, mit erhöhtem Risiko für Fettleibigkeit, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychische Beschwerden.

Das Kinderhilfswerk UNICEF warnt besonders vor den Folgen für junge Menschen: Schulen und Freizeiteinrichtungen seien zunehmend von UPF-Angeboten („ultra-processed foods“ - stark verarbeitete Lebensmittel) umgeben, was ungesunde Ernährungsgewohnheiten fördere.

Wirtschaftliche Macht der Lebensmittelkonzerne

Die Forscher sehen die Ursache des Problems im wirtschaftlichen Einfluss globaler Konzerne: Mit einem Jahresumsatz von rund 1,9 Billionen US-Dollar werde der UPF-Sektor zur profitabelsten Sparte der Lebensmittelindustrie. In einkommensstarken Ländern wie Deutschland, den USA oder Großbritannien machen hochverarbeitete Produkte bereits bis zur Hälfte der täglichen Nahrungsaufnahme aus. Der Gießener Ernährungswissenschaftler Mathias Fasshauer verweist auf Analysen, wonach rund 50 Prozent der in deutschen Supermärkten erhältlichen Produkte hochverarbeitet sind. „Frische, gering verarbeitete Lebensmittel werden deutlich seltener verzehrt, als Ernährungsempfehlungen vorsehen“, ergänzt Gesundheitsökonom Peter von Philipsborn (Universität Bayreuth).

Forderung nach politischem Gegensteuern

Die Autorinnen und Autoren der Lancet-Reihe sehen dringenden Handlungsbedarf. Sie empfehlen Maßnahmen wie Werbeverbote für ungesunde Produkte, höhere Steuern auf stark verarbeitete Lebensmittel oder strengere Qualitätsstandards für Kantinen und Schulküchen. Die so erzielten Einnahmen könnten dazu beitragen, frische Lebensmittel für einkommensschwächere Haushalte leistbarer zu machen. „Wie bei der Tabakindustrie brauchen wir eine globale, mutige und gemeinsame Antwort, um die übermäßige Macht der UPF-Konzerne einzudämmen“, fordert Karen Hofman von der University of the Witwatersrand in Südafrika. Gleichzeitig mahnen die Expertinnen und Experten, dass Übergänge zu gesünderen Ernährungsweisen sozial gerecht gestaltet werden müssen, damit Haushalte mit knappen Budgets nicht zusätzlich belastet werden.

Widerstand durch Lobbyarbeit

Ein großes Hindernis für Reformen sehen die Forscher im Einfluss industrieller Lobbyarbeit. Über internationale Netzwerke, Tarnorganisationen und Multi-Stakeholder-Initiativen würden politische Regulierungen blockiert und die öffentliche Debatte gezielt beeinflusst. „Unsere Lebensmittelsysteme sind so ausgerichtet, dass Produktion und Vermarktung hochverarbeiteter Produkte Vorrang haben“, heißt es in der Analyse. Den Trend wieder umzukehren, werde ein langer Prozess, ähnlich wie der Kampf gegen die Tabakindustrie vor einigen Jahrzehnten.

Bauernbund: Klare Transparenz notwendig

Auch der Bauernbund fordert klare und transparente Bezeichnungen bei Lebensmitteln, um Verbraucher nicht zu täuschen. Dazu erklärte Bauernbund-Präsident Georg Strasser: „Was zum Beispiel bei der Milch selbstverständlich ist, sollte auch bei anderen Produkten selbstverständlich sein. Die Konsumenten haben ein Recht darauf, auf den ersten Blick zu erkennen, ob es sich um ein natürliches Lebensmittel unserer Bäuerinnen und Bauern oder um ein hochverarbeitetes Industrieprodukt handelt.“ Kritisch sieht der Bauernbund bekanntlich die Nutzung tierischer Begriffe für pflanzliche oder im Labor erzeugte Produkte. Dabei gehe es nicht um den „Veggie Burger“ an sich, sondern um Bezeichnungen wie „Veggie Chicken Nugget.“ Wichtig sei, „dass es zu keiner Konsumententäuschung kommt und klar, ehrlich und gut lesbar draufsteht, was drin ist.“

Aus Sicht des Bauernbundes brauche es am Ende klare Regeln im Sinne der Bäuerinnen und Bauern und der Konsumenten. „Die politische Diskussion sollte sich weniger an Schlagworten abarbeiten und mehr auf die Hochwertigkeit der Lebensmittel konzentrieren, die unsere bäuerlichen Familienbetriebe Tag für Tag erzeugen“, so Strasser.

Kritik von der Lebensmittelindustrie

Der Fachverband der Lebensmittelindustrie widerspricht in einer Presseaussendung den aktuellen Studien in „The Lancet“, die hochverarbeitete Lebensmittel als Gesundheitsrisiko einstufen. Verarbeitung mache Lebensmittel genießbar, sicher und haltbar und sei für die Versorgung essentiell. Die verwendete NOVA-Klassifikation zur Einteilung von „hochverarbeiteten“ Lebensmitteln sei wissenschaftlich umstritten und wenig aussagekräftig, so die Lebensmittelindustrie. Übergewicht und Adipositas hätten vielfältige Ursachen, nicht nur Lebensmittelverarbeitung. Die Industrieverterter sehen in der laufenden Debatte eine pauschale Verurteilung von Lebensmitteln.