Ichthyol

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Die meistverkaufte Zugsalbe Tirols

Im Rahmen einer Forum Land-Veranstaltung konnte die Maxhütte in Reith besichtigt werden, wo heute noch Ichthyol-Wirkstoffe aus Steinöl aufbereitet werden.

Die Zugsalbe Ichtholan ist in jeder gut sortierten Tiroler Hausapotheke zu finden. Der enthaltene Wirkstoff Ichthyol wird heute noch in Reith bei Seefeld produziert. Der Standort zählt somit zu den wenigen Orten in Europa, an dem noch Arzneiwirkstoffe hergestellt und von dort in die ganze Welt verschickt werden.

Bereits im 14. Jahrhundert wurde im oberen Isartal und in den benachbarten Tiroler Gemeinden Scharnitz, Seefeld und Reith Ölschiefer-Bergbau betrieben. Die ansässigen Bauern gewannen aus aus dem Schiefer Steinöl, auch bekannt als Dirschenöl, Schieferöl oder Bergöl. Als Heilmittel für Mensch und Tier war das schwarze Öl im Alltag unverzichtbar. Durch den hohen Gehalt an organisch gebundenem Schwefel wirkt es entzündungshemmend und fördert den Heilprozess im Gelenks- und Wundbereich.

Vor 200 Millionen Jahren

Das Tethys Urmeer überflutete einst das Gebiet des heutigen Jura-Gebirges und der Tiroler Alpen. Millionen Jahre lang sammelten sich Überreste von Meerestieren und -pflanzen auf dem Grund und wurden von Sedimenten aus Muschel- und Korallenfragmenten überdeckt. Durch Druck entstand daraus kalkiges, organisch reiches Ölschiefergestein, in dem bis heute Fossilien wie Fische, Pflanzenreste oder Saurierspuren stecken.

Vor 10 bis 2 Millionen Jahren schob die nach Norden driftende afrikanische Kontinentalplatte die Alpen und die flachen Sedimentschichten des Jura-Gebirges zusammen und hob sie an. Dabei wurden auch die Ölschiefer-Schichten nach oben gedrückt – im Raum Seefeld sogar bis auf rund 1800 Meter. Der sogenannte "Ölstein" findet bereits in den Schriften berühmter Ärzte des Altertums Erwähnung als vielseitiges Heilmittel.

Ölschiefergestein

Ichthyol

Der gebürtige Reither Dr. Gregor Ömer ist Geschäftsführer der Österreichischen Ichthyol Gesellschaft in Reith und führte durch den Betrieb.

Ichthyol

Die Abdrücke von Fossilien sind im Gestein deutlich zu erkennen.

Ichthyol

Sagenumwobenes Blut

Als "Tyrsenblut" war das Seefelder Steinöl um 1500 am fürstlichen Hof zu Innsbruck bekannt. Einer alten Sage nach sind die braunroten Ölschiefersteine vom Blut des Riesen Tyrsus getränkt, der in einem brutalen Zweikampf vom Riesen Haymon erschlagen wurde. Im Sterben soll Tyrsus gerufen haben: „Spritzts Bluat sei für dich und Leut guat!“

1879 entdeckt der Chemiker Rudolf Schröter Ölschiefergestein im Karwendelgebirge, aus dem die Einheimischen schwarzes Öl mit schwefelartigem Geruch herstellen. Er ist überzeugt, dass sich aus diesem Öl Arzneimittel entwickeln lassen und erfindet ein Verfahren, um das Öl in eine wasserlösliche Form umzuwandeln. Das ermöglicht erstmals den Einsatz in pharmazeutischen Salben und Cremes. Inspiriert durch die Fossilien im Gestein leitet Schröter den Namen des wasserlöslichen Öls aus dem griechischen "ichthys" für Fisch und dem lateinischen "oleum" für Öl ab – das markiert die Geburtsstunde von Ichthyol. Sowohl der Fisch als auch der Riese Tyrsus spiegeln sich im Gemeindewappen von Reith wider.

Von 1884 bis heute

1884 gründen die Kaufleute Hinrich Ahrnold Corder und Gustav Hermanni gemeinsam mit dem Chemiker Rudolf Schröter in Hamburg die Ichthyol-Gesellschaft und beginnen mit der Vermarktung von Ichthyol als Wirkstoff in Arzneimitteln. 1925 werden die schwarzen Ichtholan-Zugsalben in dem Markt eingeführt. Es ist bis heute die meisterverkaufte Zugsalbe zur Behandlung von oberflächlichen und tiefen Hautentzündungen. 1933 wird neben dem dunklen Ichthyol, das bei tieferen Hautentzündungen eingesetzt wird, das helle Ichthyol entwickelt. Es eignet sich besonders gut zur Behandlung oberflächlicher Hauterkrankungen wie Akne, Neurodermitis, Psoriasis und Wunden.

Trotz erweiterter Produktpalette ist die Ichthyol-Gesellschaft auch heute noch vollumfänglich im Familienbesitz. Der Abbau des Ölschiefergesteins erfolgt heute im firmeneigenen Bergwerk in Orbagnoux, gelegen in den französischen Alpen. Weiterverarbeitet zur Grundsubstanu für zahlreiche Arzneimittel wird das Öl nach wie vor in der Maximilianshütte in Reith bei Seefeld. Bis 1964 wurde dort auch noch Ölschiefer abgebaut, was auf lange Zeit den Lebensunterhalt mehrerer Generationen im Umkreis von Seefeld sicherte und der Region zu wirtschaftlichem Aufschwung verhalf. Rund 100 Mitarbeiter sind an den drei Standorten Hamburg, Orbagnoux und Seefeld heute tätig.