AgE: Seit Beginn des russischen Angriffs auf Ihr Land sind nun fast vier Jahre vergangen. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage?
DIDUR: Die Situation ist kompliziert. Vier Jahre Krieg wirken sich zwangsläufig auf die Wirtschaft eines Landes aus. Die EU-Staaten haben uns in der schwierigsten Phase – dem ersten Kriegsjahr – stark unterstützt. Die Einführung autonomer Handelsmaßnahmen hat auch die ukrainische Milchwirtschaft seinerzeit gerettet. Nun wurde das ATM-Regime jedoch vollständig aufgehoben und man muss sehen, ob sich das nachverhandelte Handelsabkommen bewährt.
Wie steckt die ukrainische Wirtschaft das alles weg?
Insgesamt steht sie enorm unter Druck. Das ist allerdings kaum verwunderlich: Vier Jahre zermürbender Kampf, ständiger Beschuss, Verluste an Menschenleben und die Unfähigkeit, die Produktion zu planen, sind einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung abträglich. Immerhin war in unserer Branche zuletzt eine gewisse Erholung der Rohmilchproduktion zu verzeichnen. Es werden sogar neue Betriebe gegründet. Unser Verband ist regelmäßig in der EU unterwegs, immer mit dem Ziel, die Strukturen unserer Milchwirtschaft weiter zu optimieren.
Wie ist die Energieversorgungslage aktuell?
Die Lage ist angespannt. Die jüngsten Angriffe durch Drohnen iranischer Bauart und Raketen zielen auf die Zerstörung der Energieinfrastruktur und der Transportlogistik ab. Gleichzeitig finden auch weiterhin regelmäßig Raketenangriffe auf Wohngebäude statt. Jeder Ukrainer beginnt seinen Tag mit einem Blick auf den Stromausfallplan. Dieser zeigt die Zeiträume ohne Stromversorgung an. Manchmal sind es zehn bis zwölf Stunden am Stück. Das Energienetz ist beschädigt, und die Energieversorger sind gezwungen, das System durch Not- oder Stabilisierungsabschaltungen auszugleichen. Unter diesen Umständen ist Planung fast unmöglich, und die Betriebe müssen ihre Arbeitspläne ständig über den Haufen werfen.
Jeder Ukrainer beginnt seinen Tag mit einem Blick auf den Stromausfallplan.
Arsen Didur
Verfügen Sie trotz der anhaltenden Angriffe über ausreichend Strom, um Milchprodukte zu erzeugen?
Die durch den Beschuss verursachten Energieprobleme treten nicht erst seit gestern auf – sie bestehen bereits seit mehreren Jahren. In den letzten Wochen haben sich die Angriffe lediglich intensiviert und sind noch gezielter geworden. Die meisten unserer Molkereien verfügen bereits über Notstromaggregate, die sich bei Ausfällen automatisch zuschalten. Große Milchviehbetriebe, die vor demselben Problem stehen, kaufen ebenfalls Generatoren, sofern sie es sich leisten können.
Wie würden Sie die aktuelle Situation der Milchviehbetriebe in der Ukraine beschreiben?
Der industrielle Milchsektor könnte bis Ende des Jahres je nach Lage an der Front zwischen 70.000 und 100.000 Kühe verlieren. Die Kampfhandlungen haben bereits rund 800 Höfe zerstört. Das Hauptproblem sind die andauernden Kampfhandlungen. Einige Höfe wurden in westliche Landesteile evakuiert, doch selbst die Verlegung erfolgt oft unter Beschuss.
Der Milchsektor könnte bis Jahresende bis zu 100.000 Kühe verlieren.
Arsen Didur
Die Ukraine muss bekanntlich ständig neue Soldaten rekrutieren. Wie wirkt sich das auf die Arbeit auf den Höfen aus?
Es herrscht in der Tat Personalmangel, da viele Mitarbeiter zum Militärdienst eingezogen wurden. Einen Mangel gibt es aber auch an Futtermittellieferanten, beim Landmaschinenservice, und bei anderen Dienstleistungen hapert es ebenfalls. Trotz aller Schwierigkeiten erhalten unsere Molkereien derzeit jedoch ausreichend Rohmilch.
Welche Hilfe braucht Ihr Land aktuell am dringendsten?
Am meisten nutzen würde Militärhilfe sowie ein vollständiger Abbruch der Handelsbeziehungen zu Russland. Dieser Handel kurbelt die Wirtschaft des Aggressors an und ermöglicht es ihm, mehr Waffen zu produzieren, die potenziell sogar gegen europäische Länder eingesetzt werden. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass manche Stimmen in der EU aufhören, die Ukraine als „Agrarmonster“ darzustellen. Wir setzen uns für eine harmonische Zusammenarbeit ein, die sowohl unsere als auch die Position der EU auf dem globalen Agrarmarkt stärkt.
Das Interview führte der Pressedienst Agra-Europe.
:quality(60))
:quality(60))
:quality(60))
:quality(60))
:quality(60))
:quality(60))
:quality(60))
:quality(60))
:quality(60))
:format(jpeg):quality(60))
:quality(60))